Der Schwerbehindertenausweis – Teil 2
Kampf mit den Behörden - Wenn der Antrag zur Kraftprobe wird
25.05.2022 14 min ISL e.V. - Alexander Ahrens
Zusammenfassung & Show Notes
Das Thema Schwerbehindertenausweis ist sehr vielschichtig. Deshalb haben wir uns entschlossen, dem Thema drei zusammenhörige Teile zu widmen. In dieser Episode schildert uns Ines aus Nordrhein-Westfalen ganz konkret ihren Fall, in dem sie als Mutter, selbst mit Behinderung lebend, für ihren vorübergehend körperlich eingeschränkten Sohn einen Schwerbehindertenausweis beantragt hat und diesen mit rechtlicher Unterstützung durch mehrere Instanzen einfordern musste. Ob sie und ihr Sohn es geschafft haben, und wie sie sich dabei gefühlt haben, erfahrt ihr in dieser Folge.
Weitere Informationen:
Transkript
Fragen über Fragen.
Nach über 100 Bewerbungen
wurde ich noch immer nicht für ein
Bewerbungsgespräch eingeladen.
Woran liegt das?
Warum hat mein Spielplatz
keine gute Rampe?
Wieso dauert es eine Ewigkeit, bis ich
meinen elektrischen Rollstuhl
bewilligt bekomme?
Das lasse ich mir nicht bieten.
Der Podcast über Wege durch den Rechtedschungel.
Mit diesem Podcast möchten wir gemeinsam
auf die Suche nach
einigen Antworten gehen.
Konkret setzen wir uns mit der UN-
Behindertenrechtskonvention auseinander
und schauen, wie diese im Sozialrecht, im
Arbeitsrecht oder in anderen Rechtsbereichen durchgesetzt wird.
Dieser Podcast möchte behinderte Menschen
darin unterstützen,
ihre Rechte effektiv durchzusetzen,
Fremdbestimmung entgegenzuwirken
und Selbstbestimmung zu fördern.
Hallo und herzlich willkommen zu
unserer vierten Podcastfolge von
"Das lasse ich mir nicht bieten".
Auch in dieser Folge beschäftigen wir uns
mit dem Thema Schwerbehindertenausweis.
Und zwar erzählt uns eine Frau aus
Nordrhein-Westfalen, wie sie für ihren Sohn
einen Schwerbehindertenausweis beantragt
hat und hat uns von ihren
Erfahrungen erzählt.
In der letzten Folge haben wir uns im
Allgemeinen mit dem Thema
Schwerbehindertenausweis
auseinandergesetzt.
Wir haben darüber gesprochen, ob es für
die Menschen, die ihn beantragen,
eher ein Stigma ist oder eine echte
Unterstützung zur
Teilhabe darstellen kann.
Im folgenden Interview sprechen wir mit
Ines aus Nordrhein-Westfalen,
die für ihren 10-jährigen Sohn einen
Schwerbehindertenausweis beantragt.
Darüber hat sie uns im Interview erzählt,
und sie hat uns auch berichtet, warum sie
den beantragen musste für ihren Sohn und
vor welchen Hürden und Problemen sie auch
gestellt worden ist und was das Ergebnis
dieser ganzen Odyssee an Anträgen war.
Hallo, Ines.
Ich grüße dich.
Hallo.
Hallo, Alex.
Könntest du uns mal kurz erklären, warum
es notwendig war, für euren Sohn einen
Schwerbehindertenausweis zu beantragen?
Und welchen Hintergrund hatte das?
Ja, mein Sohn ist heute zehn Jahre alt und
er bekam Oktober 2019, als er sieben Jahre
alt war, plötzlich starke Schmerzen in
seiner linken Hüfte und
dies wurde zunächst mit Schmerzmitteln
und Ruhigstellen behandelt.
Da aber die Entzündung über lange Zeit
geblieben ist, hatten wir einen langen Weg der
Diagnosefindung vor uns. Wir wurden von Arzt
zu Arzt geschickt, vertröstet.
Und ja, das zog sich über eine ganze Zeit
hin, bis wir dann nach einem halben Jahr
durch eine MRT-Untersuchung die
Diagnose Morbus Perthes bekamen.
Das ist eine orthopädische
Kinderkrankheit.
Die Ursache ist eine
Durchblutungsstörung und ein
Absterben von Knochengewebe im Hüftkopf.
Ja, in der Folge stand dann eine Operation
an, im Sommer 2020, mit
anschließender Reha auch.
Mein Sohn musste bereits vor der
Operation, aber auch gerade danach, die
Hüfte entlasten und bekam aufgrund dessen
recht früh einen
Rollstuhl verordnet.
Ich selber lebe auch schon seit 13 Jahren
mit einer chronischen Erkrankung und habe auch
seit 13 Jahren schon eine
Schwerbehinderung für mich beantragt.
Und daher wusste ich, dass halt Menschen
mit Behinderung oder auch einer
chronischen Erkrankung ein Recht auf einen
Schwerbehindertenausweis
bzw. ein Grad der Behinderung zusteht.
Ja, und in diesem Zusammenhang habe ich da
mich einfach mal mit beschäftigt und ein
bisschen eingelesen, wie das auch mit
dieser Diagnose meines Sohnes ist.
Und habe gelesen, dass für die Zeit der
Entlastung, also den Fall der Erkrankung,
die mein Sohn hat,
befristet ein GdB von 70 zusteht.
Ja, da habe ich eigentlich gar nicht mit
gerechnet, dass für die Erkrankung so ein
hoher Grad der Behinderung zugerechnet
wird oder zugestanden wird.
Und das hat mich dann angespornt,
das zu beantragen und diesen Weg zu gehen.
Ich kann das gut verstehen, dass das Ganze
befristet wurde, weil das ja auch wirklich
für die Zeit
der Entlastung nur ist und vorübergehend.
Die Krankheit dauert auch zwischen zwei bis drei
Jahre und ist in der Regel
dann auch ausgeheilt.
Ja.
Die Frage war ja, warum es notwendig war,
eine Schwerbehinderung zu beantragen.
Notwendig war es eigentlich nicht, aber
durch mein Wissen, das ich hatte, das es
uns zusteht, habe ich mich halt
dafür entschieden, oder haben wir uns
entschieden, diesen Weg zu gehen und das zu beantragen.
Ein Schwerbehindertenausweis mit
einer Staffelung auf unterschiedlichen
Stufen bringt ja an vielen Stellen
vermeintlich erst mal Vorteile.
Aber das ist es ja gar nicht.
Eigentlich sind es ja eher
Nachteilsausgleiche,
weil durch diese vielen Arztbesuche,
Krankenhausaufenthalte, in unserem Fall
Fahrten zu der Klinik nach Hamburg,
Hotelübernachtung, die wir in
dem Fall auch bezahlen mussten,
und durch die Rollstuhlnutzung hatten wir
ja nun auch andere Bedingungen
plötzlich für uns.
Ja, man hat Barrieren, die man umgehen
muss. Nun hat man ja schon viele Nachteile
im täglichen Leben, die man im Grunde
durch diese Schwerbehinderung und die
ganzen, ja, dadurch bestehenden
Vorteile, halt ausgeglichen bekommt.
Ja, das war im Grunde schon ein
erheblicher Aufwand, weil sich seit 2019,
wo die ersten Symptome entstanden, unser
Leben schon extrem verändert hat.
Ihr habt den Schwerbehindertenausweis beantragt,
ganz normal bei eurem Versorgungsamt,
oder wie heißt es bei euch?
Ja, beim
Kreis haben wir das beantragt, ja,
Versorgungsamt.
Okay, und dann
wurde der einfach zugestanden oder gab es
dann plötzlich Probleme bei der Beantragung?
Nein, es gab schon Probleme, und ich kannte
das auch aus meinem eigenen Fall vor
13 Jahren, dass das natürlich im ersten
Schritt einmal abgelehnt wurde, dass das
nicht eingesehen wurde, dass da eine
Schwerbehinderung vorliegt
oder ein Grad der Behinderung.
Und das wurde erst einmal abgelehnt.
An wen hast du dich dann gewendet, um da auch
dein Recht für deinen Sohn einzufordern?
Ich hatte das damals auch schon in
meinem Fall über einen Sozialverband
gemacht, als es da auch in
einen Widerspruch ging.
Und da habe ich gute Erfahrungen damit gemacht,
habe gute Unterstützung bekommen und daher
bin ich in diesem Fall auch wieder den Weg
gegangen, dass ich mir da Unterstützung
geholt habe und in der Folge dann
einen Widerspruch eingegangen bin.
Nach dem Widerspruch, was ist dann passiert?
Als der Widerspruch durch war, ist das
aber auch noch mal
zur Bezirksregierung gegangen, der Widerspruch,
und wurde dort auch noch mal abgelehnt.
Und dann sind wir im zweiten Schritt
eine Klage bis zum Sozialgericht.
Und da hatte ich auch
wieder Unterstützung.
Ich wusste, auch aus der Selbsthilfe habe
ich Kontakte gehabt, dass da viele diesen
Weg gegangen sind und auch wirklich diese
mehreren Schritte durchlaufen mussten,
um am Ende dann erfolgreich zu sein.
Was hat dich da auch motiviert, da
weiterzumachen und auch da
weiter dafür zu kämpfen?
Motiviert hat mich schon dieses Wissen,
dass es uns laut Bundesversorgungsgesetz
zusteht, dass einem wirklich mit der
Diagnose, die wir da
bekommen haben, ein GdB von 70 zusteht.
Und ja motiviert hat mich auch dieses,
dass ich weiß, dass andere den Weg schon
gegangen sind und es auch geschafft haben.
Und auch der Zuspruch von diesem
Sozialverband, mit dem ich Kontakt hatte,
auch noch mal, die haben
mich darin bestärkt:
"Ja, wir sehen es auch so, dass es Ihnen
zusteht", und dass ich da auch wirklich
die Unterstützung bekommen habe.
Das war für mich schon wirklich
eine große Motivation.
Und wie lange hat dann der
ganze Prozess gedauert?
Also, dein Sohn hatte ja, glaube ich, dann
begrenzt die Einschränkung.
Und, sozusagen, er hat die Einschränkung gehabt und
wie lange hat es ab da gedauert, bis ihr den
Schwerbehindertenausweis endlich hattet?
Also, vom Tag der Beantragung bis zu dem
Tag, wo ich den Ausweis dann wirklich hier liegen
hatte, sind wirklich
zwölf Monate vergangen.
Das war wirklich ein sehr langer Weg.
Man muss viele Formulare ausfüllen.
Man muss die Ärzte von ihrer
Schweigepflicht entbinden.
Man muss die ganzen Ärzte auflisten, die
man in den letzten zwölf Monaten
aufgesucht hat.
Alle Angaben machen, wann man da war,
und Berichte beifügen, Kopien machen.
Es ist auch schon ein sehr langer
bürokratischer Weg,
wo man zwischendurch schon mal wirklich auch
Lust hat, das Ganze hinzuschmeißen, weil
es ist wirklich unheimlich viel Arbeit auch.
Das muss ich dazu sagen.
Und was hat es dann mit euch gemacht,
als ihr endlich diesen Ausweis hattet?
Oder wie hat auch dein Sohn dazu reagiert?
Also, ich
muss sagen, ich war natürlich,
ich persönlich war sehr stolz, weil das war
schon wirklich ein langer Weg, ein harter
Kampf und auch wirklich dieses
"Macht man jetzt weiter oder nicht?".
Zwischendurch ist man da schon mal durch
ein Tal gegangen, wo man gedacht hat, ich
könnte jetzt auch alles hinschmeißen.
Eigentlich ist es auch egal, es geht ja.
Aber trotzdem habe ich mich immer wieder
motiviert und ich war unheimlich stolz und
war froh, das durchgehalten zu haben und
auch, das bis zum Ende wirklich
durchgehalten und den
Weg gegangen zu sein.
Mein Sohn fand es auch gut.
Er war auch stolz darauf, dass
wir es geschafft haben.
Aber ich glaube, so mit zehn Jahren
nimmt man das noch ein bisschen anders wahr als
Eltern, die da wirklich dafür gekämpft haben.
Aber er fand es auch gut, dass wir
das wirklich geschafft haben am Ende.
Was würdest du Menschen raten, die vor
dieser Problematik stehen und sich
überlegen, ob sie den Weg
auf sich nehmen oder nicht?
Macht es sozusagen gerade auch bei kurzfristigen
Sachen dann doch Sinn, oder lieber nicht?
Also würdest du im Nachhinein sagen,
dass du es nochmal machen würdest?
Ja, ich würde es definitiv noch mal machen.
Und ich würde auch allen Menschen raten,
das auf jeden Fall zu machen,
den Weg zu gehen. Mit dem Hinweis schon,
dass es auch anstrengend sein kann.
Aber man hat am Ende schon Erfolg.
Und auf jeden Fall würde ich sagen, dass
man den Weg gehen sollte. Auch, wenn man
weiß, wie in unserem Fall, dass
es nur befristet sein wird,
also wahrscheinlich haben wir
das nur für 2 bis 3 Jahre.
Aber dennoch - ein Jahr
davon war im Grunde schon vergangen, bis
wir den überhaupt hatten, weil das dann ja
rückwirkend auch noch zugestanden wird.
Dennoch hat es sich auf
jeden Fall gelohnt.
Ich kann jedem auch nur
raten, den Weg zu gehen.
Vielen Dank, Ines, dass du uns davon
berichtet hast, und auch über die
Hürden, die man da nehmen muss.
Aber am Ende, glaube ich, hat sich der Weg da wirklich
gelohnt für euch und dass wir auch alle
anderen dazu ermutigen,
diesen wichtigen Schritt zu gehen.
Ja, dann danke ich Dir recht herzlich für
die ganzen vielen Auskünfte, die
ja auch wirklich sehr privat sind.
Das muss man ja auch sagen,
dass wir da auch nicht so
viele Menschen bekommen, die dazu
auch ein Interview führen wollen.
Und deshalb bedanke ich mich nochmal recht
herzlich bei dir, dass du es uns möglich
gemacht hast, Einblick dazu zu bekommen.
Vielen Dank!
Sehr gerne.
Das war das Interview mit
Ines aus Nordrhein-Westfalen.
Ich finde, Ines konnte uns auf sehr
persönliche Art und Weise erklären, welche
Erfahrungen sie dabei gemacht hat, als sie
für ihren Sohn einen
Schwerbehindertenausweis beantragt hat.
Am Ende hatten die beiden Erfolg und haben
am Ende einen Schwerbehindertenausweis
in den Händen gehalten.
Wir wissen aber auch von vielen anderen
Menschen mit Behinderungen, dass sie seit
Jahrzehnten dafür kämpfen, dass ihre
Behinderung endlich anerkannt wird.
Oft sind es Schwerbehinderungen,
die nicht sichtbar sind.
Mit diesem Interview wollen wir dennoch
vielen Menschen Mut machen, nicht locker
zu lassen und für ihr Recht zu
kämpfen und ihr Recht einzufordern.
In unseren Shownotes haben wir euch noch
weitere hilfreiche Hinweise verlinkt.
Wir hoffen, die Folge hat euch gefallen
und würden euch gerne einladen, auch
bei der nächsten Folge dabei zu sein.
Denn da geht es noch mal um das
Thema Schwerbehindertenausweis.
Da wollen wir genau klären, was ist denn
eigentlich ein GdB, also
ein Grad der Behinderung?
Und was hat das Ganze mit einer
Versorgungs-Medizinverordnung zu tun?
Also, seid gespannt und wir freuen uns,
wenn ihr das nächste
Mal wieder dabei seid.
Dieser Podcast wird ermöglicht durch die
Förderung vom Bundesministerium
für Arbeit und Soziales.
Das lasse ich mir nicht bieten -
Der Podcast über Wege durch den Rechtedschungel.
Eine Produktion von ISL -
Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben
e.V.. Mehr Informationen und
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