Der Schwerbehindertenausweis
Stigma oder Unterstützung zur Teilhabe?
13.04.2022 24 min
Zusammenfassung & Show Notes
In unserer dritten Podcast-Folge beschäftigen wir uns mit dem Schwerbehindertenausweis. Gemeinsam klären Jenny Bießmann (Teilhabeberaterin und ISL-Vorstandsmitglied) und Alexander Ahrens auf: Darüber, ob ein Schwerbehindertenausweis für seine*n Besitzer*in ein Stigma oder eine echte Unterstützung zur Teilhabe darstellt. Natürlich erfahrt ihr auch, wie ihr einen Schwerbehindertenausweis beantragt, welche Nachteilsausgleiche dieser bietet und wie er euch das Leben ein bisschen erleichtern kann.
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In unserer dritten Podcast-Folge beschäftigen wir uns mit dem Schwerbehindertenausweis. Gemeinsam klären Jenny Bießmann (Teilhabeberaterin und ISL-Vorstandsmitglied) und Alexander Ahrens auf: Darüber, ob ein Schwerbehindertenausweis für seine*n Besitzer*in ein Stigma oder eine echte Unterstützung zur Teilhabe darstellt. Natürlich erfahrt ihr auch, wie ihr einen Schwerbehindertenausweis beantragt, welche Nachteilsausgleiche dieser bietet und wie er euch das Leben ein bisschen erleichtern kann.
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Transkript
Fragen über Fragen.
Nach über 100 Bewerbungen
wurde ich noch immer nicht für ein
Bewerbungsgespräch eingeladen.
Woran liegt das?
Warum hat mein Spielplatz
keine gute Rampe?
Wieso dauert es eine Ewigkeit,
bis
ich meinen elektrischen Rollstuhl
bewilligt bekomme?
Das lasse ich mir nicht bieten.
Der Podcast über Wege durch den Rechtedschungel.
Mit diesem Podcast möchten wir gemeinsam
auf die Suche nach
einigen Antworten gehen.
Konkret setzen wir uns mit der UN-
Behindertenrechtskonvention auseinander
und schauen, wie diese im Sozialrecht, im
Arbeitsrecht oder in anderen Rechtsbereichen durchgesetzt wird.
Dieser Podcast möchte behinderte Menschen
darin unterstützen,
ihre Rechte effektiv durchzusetzen,
Fremdbestimmung entgegenzuwirken
und Selbstbestimmung zu fördern.
Hallo und herzlich Willkommen zu einer
neuen Podcastfolge
der Interessenvertretung
Selbstbestimmt Leben -
Das lass ich mir nicht bieten.
Wege durch den Rechtedschungel."
Heute mit dem Thema "Der
Schwerbehindertenausweis -
Stigma oder Unterstützung zur Teilhabe?"
Tja, viele von uns haben sich schon
gefragt, okay, Schwerbehindertenausweis,
wenn ich den habe, dann bin ich ja
wirklich behindert
oder werde jedenfalls behindert.
Und bringt mir das denn was?
Oder diskriminiert mich der eher?
Diese und andere Fragen, also was der
Schwerbehindertenausweis überhaupt bringt,
was für Nachteilsausgleiche er bereithält,
die erörtert heute mein Kollege Alexander
Ahrens zusammen mit Jenny Bießmann, der
Expertin in diesem Bereich, die bei der
unabhängigen Teilhabe-Beratungsstelle
"Aktiv und selbstbestimmt Leben" in Berlin
arbeitet, selbst eine Beeinträchtigung hat
und im Vorstand der Interessenvertretung
Selbstbestimmt Leben aktiv ist.
Ich freue mich mit
euch, hoffentlich, auf diese Folge
und kann euch nur sagen, dass sie
aus mehreren Teilen bestehen wird,
denn wir haben auch noch einen Teil,
in dem eine Interviewpartnerin darüber
berichten wird, welche Probleme sie
eigentlich gehabt hat, einen
Schwerbehindertenausweis für ihren Sohn zu
beantragen und den Grad der Behinderung
feststellen zu lassen und wie
sie sich dagegen gewehrt hat.
Außerdem wollen wir euch in einer dritten
Folge ein bisschen näher bringen, was denn
der Grad der Behinderung eigentlich genau
bedeutet, wie man diesen feststellen
lassen kann und wo da die Probleme
und Komplikationen so liegen können
Jetzt freue ich mich aber erstmal mit euch
auf diese neue Folge
und kann euch nur schon mal sagen, dass
euer Ausweis ein bisschen Gold wert ist.
Jedenfalls dann, wenn ihr auch ein
Beiblatt zum Schwerbehindertenausweis
habt mit einer Wertmarke.
Dieses Beiblatt bei einem
Schwerbehindertenausweis bekommen zum
Beispiel Menschen,
die den beantragt haben, die blind sind
oder außergewöhnlich gehbehindert
oder gehbehindert und/oder hilflos.
Und wenn sie gleich noch mehrere
Merkzeichen haben, um so besser,
dann gibt es das auf jeden Fall.
Und auf diesem Beiblatt ist ein Kinegram
eingearbeitet und dieses Kinegram soll
das Beiblatt, also das Beiblatt und
die Wertmarken davor schützen,
gefälscht zu werden.
Und das Kinegram ist so eine
zweidimensionale Abbildung,
die, wenn man sie in unterschiedliche
Richtungen kippt,
etwas unterschiedlich darstellt.
So hat es Wikipedia mir
jedenfalls erklärt.
Da ich blind bin, kann ich das selber
gar nicht so gut nachprüfen.
Aber was daran witzig war, ist,
Kinegrame sind teilweise
auch in Goldbarren eingeprägt.
Die nennt man dann Kine-Goldbarren.
Das ist ein patentiertes Verfahren.
Und dann ist da so eine Prägestruktur auf diesem Goldbarren.
Also könnt ihr euch glücklich schätzen.
Euer Beiblatt zum Schwerbehindertenausweis
in Kombination mit dem
Schwerbehindertenausweis
ist also Gold wert.
Und was es alles für
Nachteilsausgleiche gibt,
die wir auch unbedingt in Anspruch nehmen
sollten, weil uns die Gesellschaft eh
schon so viele Hindernisse und
Stolpersteine in den Weg legt,
das erfahrt ihr in der jetzigen Folge.
Viel Spaß dabei. Und bei Fragen, Kritik,
Beschwerden, was auch immer ihr loswerden
möchtet, immer sehr gerne eine Mail an
die Interessenvertretung
Selbstbestimmt Leben oder an mich,
Mitarbeiterin der Interessenvertretung
Selbstbestimmt Leben - findet ihr alles
in den Shownotes und Infos zum Podcast.
Dort sind auch noch einige weitere Links
hinterlegt mit nützlichen Informationen
zur Beantragung zu den unterschiedlichen
Merkzeichen. Zum Beispiel
Merkzeichen B für Begleitung,
dass ich eine Begleitperson mitnehmen
darf, die dann umsonst in den öffentlichen
Verkehrsmitteln des Regional- und
Fernverkehrs mitfahren darf.
Oder das Merkzeichen AG, wenn man eine
außergewöhnliche Gehbehinderung hat,
also dauerhaft auf den Rollstuhl
angewiesen ist und wirklich ohne den
Rollstuhl eigentlich nicht wirklich gehen
kann. Und RF für die Rundfunkgebührenbefreiung, also bedeutet,
ich kann zum Beispiel nicht hören oder ich
bin blind, dann werde ich von
den Rundfunkgebühren befreit.
Folge ab.
Ich habe heute im Interview die Jenny
Bießmann von einer ergänzenden
unabhängigen Teilhabe-Beratung, kurz EUTB.
Und ich wollte Jenny Bießmann mal fragen,
was macht eigentlich so eine EUTB
und für wen ist sie gedacht?
Und welche Fragen, insbesondere auch zum
Schwerbehindertenausweis, werden denn
eigentlich am häufigsten gestellt?
Hallo Jenny.
Ja, hallo Alex, schön,
dass ich da sein darf.
Genau. Zu deiner Frage.
Was macht denn so eine EUTB?
Na ja, also wir beraten primär Menschen
mit Behinderung, von Behinderung
bedrohte Menschen und deren Angehörige.
Es geht um die Themen
"Wie kann ich als Mensch mit Behinderung an
dem gesellschaftlichen Leben teilhaben?"
Und wenn wir uns jetzt auf den
Schwerbehindertenausweis fokussieren, da sind natürlich
die häufigsten Fragen, Ängste.
Was bedeutet es überhaupt, einen
Schwerbehindertenausweis zu beantragen?
Welche Vor- und Nachteile hat das für mich?
Genau.
Also das sind so die Themen.
Und wo beantrage ich das Ganze überhaupt?
Und brauche ich dafür eigentlich einen
Grad der Behinderung, um den zu bekommen?
Also als Voraussetzung für den Schwerbehindertenausweis
denken viele, dass sie erst einen
Grad der Behinderung
überhaupt haben müssen.
Genau.
Aber da wäre ja die
Frage auch interessant,
warum sollten Menschen, die eine
Einschränkung haben, eigentlich unbedingt einen
Schwerbehindertenausweis beantragen?
Und vor allen Dingen, wer kann
den überhaupt beantragen?
Also sind das jetzt nur Menschen
mit einer sichtbaren Behinderung?
Nein, genau. Ganz, ganz wichtig.
Es können prinzipiell alle Menschen erst mal einen
Schwerbehindertenausweis beantragen.
Alle Menschen hört sich immer so an,
ja ja, kann jetzt jeder mal hingehen. Nein!
Es muss natürlich schon eine Einschränkung
vorliegen, aber es muss keine
sichtbare Behinderung vorliegen.
Auch Menschen mit einer
Sinneseinschränkung,
Menschen mit einer
seelischen Behinderung, können einen
Behindertenausweis beantragen.
Was haben denn die Menschen davon, wenn
sie so einen Schwerbehindertenausweis beantragen?
Ist das so eine Art
Schlüssel zu mehr Teilhabe?
Das ist eine sehr gute Frage.
Jein.
Ich würde sagen, jein.
Es ist nicht unbedingt das Tor zu Allem.
Aber gerade, wenn ein Mensch mit Behinderung
einen Schwerbehindertenausweis hat, hat
die Person natürlich die Möglichkeit, wenn
sie berufstätig ist,
mehr Urlaubstage in Anspruch zu nehmen
aufgrund des Schwerbehindertenausweises.
Es gibt Steuervergünstigungen ab einem
Grad der Behinderung von 50 mit dem
Schwerbehindertenausweis in Kombination.
Es gibt, und da sind wir wieder in dem
Freizeitbereich, bei der Teilhabe,
natürlich auch punktuell Vergünstigungen,
wenn es ins Theater geht oder
in den Zoo etc.
Okay, also das sind sozusagen
dann sogenannte Nachteilsausgleiche? Also
sozusagen, das sind ja quasi schon diese
Nachteilsausgleiche,
die dieser Schwerbehindertenausweis ja
auch mit sich bringt.
Weil viele Menschen sprechen
ja auch von Vorteilen.
Aber warum sprechen sie so
und stimmt das überhaupt?
Ist es denn wirklich ein Vorteil, wenn ich
zum Beispiel auf dem
Behindertenparkplatz stehen darf?
Na ja, das könnte man
natürlich erstmal so denken -
Vorteil. Aber natürlich sind es,
du hast es gerade selber
gesagt, Nachteilsausgleiche.
Wir Menschen mit Behinderung sind ganz
schön häufig benachteiligt, weil wir
einfach nicht so leicht Zugänge bekommen.
Und demzufolge ist es natürlich nur
gerechtfertigt, mit dem Ausweis auch einen
Nachteilsausgleich in
Anspruch nehmen zu können.
Ich würde niemals und tue es auch in der
Beratung nicht, wenn jemand kommt, ja, was
sind denn Vor und Nachteile, davon
sprechen, sondern es sind Ausgleiche. Ja?
Also auch, wenn, ich habe vorhin gesagt, es
gibt Steuervergünstigungen.
Hört sich ja erst mal als mega Vorteil an. Aber
dass wir Menschen mit Behinderung
natürlich wesentlich mehr Ausgaben
aufgrund der Behinderung haben, weil wir
vielleicht Unterstützung brauchen
oder teurere Autos oder oder.
Also ist es eher der
Nachteilsausgleich und kein Vorteil.
Könntest du nochmal so kurz erklären,
wie so ein Schwerbehindertenausweis funktioniert?
Also von der Beantragung her bzw.
dann auch, wenn ich ihn endlich habe?
Also was muss ich haben?
Ich sag mal, wenn jemand sich
eingeschränkt fühlt in seiner Teilhabe,
weil er eine
Funktionseinschränkung zum Beispiel
am Körper hat. Wie geht er da am besten vor?
Genau.
Also erst mal...
Ich mach es mal ganz praktisch, ja? Zu uns in die
Beratungsstelle kommt ein Mensch mit
Behinderung,
hat die Anfrage, Mensch, ich würde gerne
mir Gedanken über die Beantragung
eines Schwerbehindertenausweis machen.
Was brauche ich dafür?
Erst mal ist es wichtig, dass
eine Einschränkung vorliegt.
Dann überlegen wir, in welcher
Region das Ganze beantragt wird.
In Berlin wird es beim Versorgungsamt
- beim "Lageso" beantragt.
Dieser Antrag dauert im Übrigen
sehr, sehr lange, bis er durch ist.
Dann gibt es ein Antragsformular,
welches wir uns gemeinsam angucken können
bzw. die Person dann die Info bekommt, wo sie es findet.
Und in diesen Antrag müssen dann
die behandelnden Ärzt:innen,
Krankenhausaufenthalte, Reha-
Geschichten eingetragen werden.
Damit dann einfach gekuckt werden kann vom
Versorgungsamt, das und das liegt vor.
Man hat die Möglichkeit, natürlich auch
Merkzeichen zu beantragen. Also ein B
für die Begleitperson.
Das kann für Menschen im Rollstuhl
relevant sein, aber auch für Menschen
mit seelischen Hindernissen.
Die einfach
Unterstützung brauchen, um rauszugehen,
um den ÖPNV nutzen zu können.
Genau. Das sollte man dann auch nochmal
extra ankreuzen in diesem Formular.
Und dann reicht man das Ganze ein.
Und das dauert dann
leider Gottes. In Berlin
aktuell sechs Monate und länger, bis
man überhaupt eine Rückmeldung bekommt.
Und dann ist die Rückmeldung im Idealfall
positiv, sodass gesagt wird, Ihr
Behindertenausweis wird genehmigt.
Dann hat man diesen in der Hand.
Beispielsweise ist man auch noch
studierende Person, möchte an der Uni
direkte Nachteilsausgleiche in Anspruch
nehmen, nämlich bei Prüfungen
vielleicht etwas mehr Zeit bekommen.
Da hat es dann den Vorteil, dass man
diesen Ausweis mit einreicht, wenn man das
beantragt und dem zufolge man sich nicht
ganz so viel rechtfertigen muss, warum man
das Ganze jetzt braucht, sondern
dass es leichter durchgeführt wird.
Wir bekommen öfter Anfragen von Menschen,
die der Meinung sind, dass ihnen den
r
Zugang zu diesem Schwerbehindertenausweis
oft erschwert wird.
Siehst du das auch so aufgrund deiner
Beratungserfahrung
oder ist das immer sehr individuell?
Es ist wie bei allen Anträgen sehr
individuell, aber natürlich vermehrt
gibt es Ablehnungen.
Ich habe ja gerade so den Idealfall
skizziert, dass man nach sechs
Monaten die Genehmigung bekommt.
Häufig gibt es natürlich erst
mal einen Ablehnungsbescheid.
Man muss einen Widerspruch einlegen,
muss sich wieder erklären,
muss weitere Atteste einreichen.
Gerade wenn man -
wir haben ja in Berlin noch dieses
Sonderzeichen T für den Transfer,
Transport, für die Mobilität -,
wenn man das noch benötigt,
gibt es eigentlich sehr, sehr häufig diese
Ablehnung und dann muss man wieder
erklären, dass man aber gar nicht so
weit gehfähig ist.
Und so weiter.
Also, es ist immer sehr individuell, ob es
eine schwierige Geschichte
wird oder nicht.
Also, eigentlich haben wir hier so das
Problem, dass wir ja gerade
das Thema Behinderung eher aus
menschenrechtlicher
Sicht betrachten wollen.
Und eigentlich sind dafür knallharte
medizinische Fakten ja erst mal
Voraussetzung, die mich dann sozusagen
in meiner Teilhabe einschränken.
Das muss ich ja dann auch,
oder, muss ich das begründen als Mensch,
der einen Schwerbehindertenausweis benötigt, oder
müssen die mir das begründen?
Nein.
Also leider Gottes ist es ja in
Deutschland immer so, wenn wir Menschen mit
Behinderung etwas wollen, müssen wir
natürlich auch begründen, warum wir das
brauchen und warum es so
notwendig jetzt für uns ist.
Und das ist natürlich auch
ein großes Hindernis,
was du gerade noch mal aufgemacht hast, für
viele Menschen. Nämlich, dass es sehr
medizinisch betrachtet wird, dass man
gerade sagt, Mensch, aber ich bin ja Mensch
mit Behinderung, ist ganz ja offensichtlich
oder auch nicht offensichtlich, wenn es eine
nicht sichtbare Behinderung ist.
Aber ich fühle mich jetzt am
gesellschaftlichen Leben sehr
eingeschränkt und brauche deshalb diesen
Antrag und muss jetzt aber wieder 1000
Atteste einreichen, mich vielleicht
noch mal neu begutachten lassen.
Und das ist ein ganz großes Hindernis,
warum viele
Menschen mit Behinderung auch sagen:
"Wissen Sie, Frau Bießmann,
ich habe das jetzt alles gehört.
Ich entscheide mich trotzdem dagegen."
Was ja auch das gute Recht
von Ratsuchenden ist.
Aber da ist der Zugang
einfach sehr schwer gemacht.
Und
wenn ich das hier vielleicht noch anmerken darf. Was auch
immer wieder Thema ist,
ist es denn von Vorteil einen
Schwerbehindertenausweis zu haben, wenn
ich berufstätig bin bzw. wenn ich auf
Arbeitssuche bin, und das meinen
Arbeitgeber:innen mitteile?
Da ist dann auch ganz häufig Pro-Contra.
Wenn es eine nicht sichtbare
Behinderung ist, muss der,
die das denn überhaupt wissen?
Spielt ja eigentlich gar
nicht so eine große Rolle.
Und gerade in Bewerbungsgesprächen, hören
wir immer wieder, ist es dann das Problem,
ah, dann kann ich Sie ja gar nicht
kündigen. Was ja auch so
ein Ammenmärchen ist.
Ich glaube, das haben wir alle schon in
unseren eigenen Leben ganz häufig gehört
und denken uns dann immer wieder, ja, aber so ist es ja gar nicht.
Wo können sich dann Menschen hinwenden,
wenn sie damit Probleme haben, also bei
der Beantragung oder sie bekommen
einen Ablehnungsbescheid?
Wer wäre da der richtige
Ansprechpartner oder Ansprechpartnerin?
Genau.
Also prinzipiell ist es natürlich immer
ratsam, sich an die ergänzenden
unabhängigen Teilhabe-Beratungsstellen zu
wenden, weil, wie der Name schon sagt, wir
wirklich alle super unabhängig sind und
mit den Menschen gemeinsam gucken, was ist
möglich, wo könnte man vielleicht
noch mal nachjustieren?
Wenn es dann aber in den Widerspruch geht,
ist es natürlich ratsam, sich
im Internet zu informieren.
Welche Anwält:innen sind
gut auf dem Gebiet?
Da gibt es mittlerweile ganz viele Listen,
wo man sich wirklich gut informieren kann.
Oder gibt es natürlich auch kostenlose
Rechtsberatung, an die man auch
erst mal im Vorhinein gehen kann.
Aber wenn der Widerspruch
noch nicht da
ist, dann unbedingt an die EUTBs.
Es gibt in Deutschland über 500, von daher
sollte vielleicht Jeder und Jede da eine Möglichkeit
haben, mit Jemandem in Kontakt zu treten.
Und wie sind eure Erfahrungen, wenn
betroffene Menschen dann endlich den
Schwerbehindertenausweis
genehmigt bekommen haben?
Bekommt ihr da auch Rückmeldungen dazu?
Ja, das ist so ein bisschen das Dilemma in
unserer Beratungssituation, dass wir
häufig von den Menschen natürlich nur
Weiteres erfahren, wenn
es problematisch wird.
Im Erfolgsfall ist ja alles gut gegangen.
Dann sind wir nicht mehr die
Ansprechpartner:innen.
Wenn wir mal davon erfahren,
oder, Berlin ist zwar groß, aber manchmal trifft
man Menschen ja zufällig,
vielleicht im Zug oder so, wieder.
Dann ist es schon Erleichterung.
Es ist so gut, dass ich das jetzt habe.
Also, gerade im Studierenden
Kontext höre ich das sehr häufig.
So gut, dass ich das jetzt habe.
Jetzt muss ich nicht mehr Anträge
ellenlang schreiben und mich immer wieder
begründen, warum es für mich so
notwendig ist. Sondern, ich schreibe einen
kurzen Zweizeiler, mache eine Kopie von
meinem Ausweis dazu und dann geht es
in der Regel viel leichter durch.
Und das hören wir auch
häufig von Dozent:innen, mit denen wir aus
unterschiedlichen Gründen Kontakt haben.
Dass es für die dann natürlich auch
leichter ist, etwas zu entscheiden.
Aber ist es auch so, wenn ich einen
Schwerbehindertenausweis habe,
muss ich den dann überall vorzeigen?
Und muss ich das meinem Arbeitgeber sagen?
Oder kann ich ihn so verwenden,
wie ich es für richtig halte?
Genau. Das ist natürlich
ein ganz wichtiger Punkt.
Das ist mein Ausweis.
Ich gehe damit so um, wie ich
es in dem Moment brauche.
Als Nachteilsausgleich nämlich.
Also, ich bin nicht damit verpflichtet, den
um meinen Hals zu baumeln und überall zu
sagen, Hallo, ich bin
Mensch mit Behinderung...
mein Schwerbehindertenausweis.
Also, da habe ich wirklich
die Selbstbestimmung,
was uns ja auch immer ganz wichtig ist.
Ich gehe selbstbestimmt mit meiner
Behinderung und auch mit diesem Ausweis um.
Ist es dann auch so, dass,
wenn du sagst, dass
manche Menschen sagen, dass ihnen die
Hürden zur Beantragung
dieses Ausweises zu hoch erscheinen,
dass die Dunkelziffer in
Deutschland ja dann viel höher liegt?
Also, offiziell haben wir ja, ich glaube, 7,9 Millionen
Menschen, die als schwerbehindert gelten
und über 10,5 Millionen Menschen, die
generell eine Schwerbehinderung haben.
Wie hoch schätzt du
die Dunkelziffer ein?
Bzw. welchen Schritt brauchen die Menschen,
um überhaupt selber zu erkennen,
dass sie eine Einschränkung haben?
Also die Dunkelziffer,
aber das ist jetzt
wirklich ganz subjektiv,
ich würde sagen, zwischen 30 bis 50 %
gibt es noch Menschen mit Behinderungen,
die eigentlich einen Anspruch auf einen
Schwerbehindertenausweis per se
hätten, es aber nicht nutzen.
Aber wie gesagt, das hat keine tiefere Quelle.
Und was braucht es? Also,
zum einen braucht es
mehr Öffentlichkeit
für diesen Schwerbehindertenausweis.
Was bringt der mit sich?
Und nicht immer nur diese Ängste schüren,
dass ich nämlich dann gerade im
Berufsleben Nachteile hätte.
Sondern wirklich ein bisschen gucken auf
diese Nachteilsausgleiche. Das einfach
viel mehr in den Fokus rücken. Und
wirklich mal weggehen von diesem
Medizinischen. Diese 1000 Atteste
einreichen zu müssen.
Sondern wirklich zu gucken, okay, das ist
ein Mensch mit Behinderung,
braucht das und das.
Okay.
Anspruch auf den Schwerbehindertenausweis.
Und das wirklich wesentlich
niedrigschwelliger machen und nicht so
einen hohen bürokratischen Aufwand.
Dann würden wesentlich mehr Menschen,
die ihn brauchen,
ihn auch nutzen bzw. beantragen.
Das ist doch mal ein guter Appell
auch an die Politik da draußen,
dass der Zugang dafür den Menschen
erleichtert wird.
Jenny Bießmann, ich danke recht herzlich
für das Interview und dass du heute Zeit
hattest für uns, uns da mal aufzuklären
aus Sicht einer Beratungsstelle,
wie es Menschen geht, die einen
Schwerbehindertenausweis beantragen.
Das war Alexander Ahrens im Gespräch mit
Jenny Bießmann über die Beantragung
eines Schwerbehindertenausweises.
Dieser Podcast wird ermöglicht
durch die Förderung vom
Bundesministerium für Arbeit und Soziales.
Das lasse ich mir nicht bieten -
Der Podcast über Wege durch den Rechte-Dschungel.
Eine Produktion von ISL -
Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben
e.V. Mehr Informationen und
Kontaktaufnahme über die Webseite
www.isl-ev.de.