Behinderte Menschen in Triage-Situationen wirksam vor Diskriminierung schützen
Jessica Schröder im Gespräch mit Hans-Günter Heiden
26.01.2022 39 min
Zusammenfassung & Show Notes
Am 28. Dezember 2021 hat das Bundesverfassungsgericht seinen Beschluss zu einer Beschwerde, die neun Beschwerdeführer*innen mit Behinderung, im Sommer 2020 eingereicht haben, verkündet. Die Beschwerdeführer*innen hatten zurecht gerügt, dass behinderte Menschen in Situationen auf Intensivstationen, bei denen nur noch knappe intensivmedizinische Ressourcen wie Beatmungsplätze und Intensivbetten vorhanden sind, bei der Entscheidung, wer diese Ressourcen erhalten darf, massiv benachteiligt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat den Beschwerdeführer*innen in seinem Entscheid Recht gegeben und die Bundesregierung aufgefordert, zeitnah Maßnahmen zu ergreifen, die Diskriminierungen von behinderten Menschen bei der Zuteilung knapper intensivmedizinischer Mittel gezielt entgegenwirken und verhindern. Der Beschluss ist ein sehr wichtiger Schritt in eine positive Richtung, damit behinderte Menschen eine faire und gleichberechtigte Chance auf intensivmedizinische Versorgung bekommen, selbst in Fällen, bei denen entschieden werden muss, wer diese Ressourcen erhalten wird.
Hans-Günter Heiden vom Netzwerk Artikel 3 (NW3), hat sich besonders stark in die Diskussion zur Triage mit eingebracht und durch die Erarbeitung von Stellungnahmen, Infomaterialien und digitalen Diskussionsplattformen, die Gesellschaft für das Thema sensibilisiert und einen konstruktiven Austausch befördert. Im Interview berichtet Günter Heiden von seinen Aktivitäten, gibt eine Einschätzung zum Entscheid des Bundesverfassungsgerichts und erläutert, was er sich vom Gesetzgebungsprozess der Bundesregierung erhofft.
Weitere Infos
Entscheid des Bundesverfassungsgericht zur Triage: Bundesverfassungsgericht - Entscheidungen - Der Gesetzgeber muss Vorkehrungen zum Schutz behinderter Menschen für den Fall einer pandemiebedingt auftretenden Triage treffen
Informationsveranstaltung des Landesbehindertenbeauftragten der Freien Hansestadt Bremen: „Triagesituationen diskriminierungsfrei gestalten“
Transkript
Fragen über Fragen.
Nach über 100 Bewerbungen
wurde ich noch immer nicht für ein
Bewerbungsgespräch eingeladen.
Woran liegt das?
Warum hat mein Spielplatz keine gute Rampe?
Wieso dauert es eine Ewigkeit, bis ich
meinen elektrischen Rollstuhl
bewilligt bekomme?
Das lasse ich mir nicht bieten.
Der Podcast über Wege durch den Rechtedschungel.
Mit diesem Podcast möchten wir gemeinsam
auf die Suche nach
einigen Antworten gehen.
Konkret setzen wir uns mit der
UN-Behindertenrechtskonvention auseinander
und schauen, wie diese im Sozialrecht, im
Arbeitsrecht oder in anderen
Rechtsbereichen durchgesetzt wird.
Dieser Podcast möchte behinderte Menschen
darin unterstützen,
ihre Rechte effektiv durchzusetzen,
Fremdbestimmung entgegenzuwirken
und Selbstbestimmung zu fördern.
Für euch heute am Mikrofon.
Jessica Schröder.
Hallo und herzlich willkommen zu unserem
Podcast "Das lasse ich mir nicht
bieten - Wege durch den Rechte-Dschungel."
Heute sprechen wir über das Thema Triage.
Die meisten von euch haben sicherlich
schon vom Entscheid des
Bundesverfassungsgerichtes gehört,
dass im Fall einer Triage der Gesetzgeber,
also die deutsche Bundesregierung,
wirksame Schutzvorkehrungen treffen muss, damit
behinderte Menschen in so einem
Fall nicht benachteiligt werden.
Was bedeutet Triage eigentlich?
Triage bedeutet, dass, wenn auf Intensivstationen
nicht mehr genug Beatmungsplätze,
Intensivbetten und andere intensiv-
medizinische Maßnahmen vorhanden sind, die
das Leben von Menschen retten helfen
können, dass dann entschieden werden muss,
wer wird noch gerettet und wer nicht?
Neun Beschwerdeführer*innen, die diese
Verfassungsbeschwerde eingereicht haben,
befürchten oder haben befürchtet,
dass sie im Fall einer Triage
benachteiligt werden würden, also dass
überhaupt Menschen mit Beeinträchtigungen
ganz per se in so einem Fall benachteiligt
werden würden und dann letztlich keine
intensivenmedizinischen
Maßnahmen erhalten würden.
Ihre Befürchtungen stützen sich auf
ziemlich konkrete Fakten,
die sehr erschreckend sind.
Hier, auch in Deutschland, kam es ja schon
oft zu Situationen, wo man eigentlich
befürchten muss, dass Triage bereits
stattfindet. Falls nicht
auf Intensivstationen,
was wir nicht wissen können, dann oft
schon im Vorhinein, dass beispielsweise
Menschen, die in Pflegeeinrichtungen
wohnten, in Pflegeheimen oder anderen
Einrichtungen gar nicht erst die
Möglichkeit hatten, eine Behandlung
auf einer Intensivstation zu erhalten.
Aber selbst, wenn man die Möglichkeit hat
und noch auf eine Intensivstation
zugelassen wird, dann kann es eben auch
bedeuten, wenn es nicht genug Beatmungsplätze
gibt, dass man
nicht mehr behandelt wird.
Für diesen Fall haben intensivmedizinische Fachgesellschaften Leitlinien
erarbeitet, die aufzeigen sollen,
wie man in so einem Falle handeln sollte.
Also das bedeutet die Ärztinnen und Ärzte.
Dafür haben sie sich orientiert an der
sogenannten klinischen Erfolgsaussicht.
Das bedeutet:
Hat ein Mensch noch die Chance,
eine Corona-Infektion mithilfe intensivmedizinischer
Maßnahmen
realistisch zu überleben?
Das muss man ja irgendwie messen.
Also haben die medizinischen
Fachgesellschaften Kriterien erarbeitet,
die den Ärzt*innen, anderen medizinischen
Fachkräfte dabei unterstützen
sollen, das eben zu bewerten.
Diese Kriterien sind aber so gestrickt,
dass sie Menschen mit Beeinträchtigungen
ganz oft außen vor lassen, so dass diese
kaum eine Möglichkeit haben, überhaupt von
intensivmedizinischen
Maßnahmen zu profitieren.
Dort gibt es beispielsweise Skalen,
die ziemlich eindeutig aufzeigen, dass
Menschen, die zum Beispiel auf Assistenz
angewiesen sind, einen hohen Pflegegrad
haben und beispielsweise noch andere
Begleiterkrankungen haben, wie
Krankheiten des Herzens, der
Niere, der Leber oder der Lunge,
viel weniger Chance haben, überhaupt
intensivmedizinische Maßnahmen zu
erhalten, weil man dann generell davon
ausgeht, na ja, deren Erfolgsaussicht,
diese Erkrankung zu überleben,
ist ja nicht so besonders hoch.
Das ist natürlich super diskriminierend
und bedeutet letztlich auch für relativ
viele Menschen mit Beeinträchtigungen:
Wenn diese Skalen und diese Parameter in
so einem Fall wirklich angewandt werden
würden, dass sie überhaupt keine Chance
haben, lebensrettende Maßnahmen zu
erhalten und in Konsequenz
sterben müssten.
Dagegen haben sich diese neun
Beschwerdeführer*innen gewehrt und haben in
ihrer Verfassungsbeschwerde deutlich
gemacht, dass diese Leitlinien
im Fall einer Triage diskriminierend sind
und beeinträchtigte Menschen von
vornherein ausgrenzen und benachteiligen.
Glücklicherweise hat das
Bundesverfassungsgericht das auch so
gesehen und entschieden, dass der
Gesetzgeber, also die deutsche
Bundesregierung, jetzt
unverzüglich handeln muss.
Das Bundesverfassungsgericht hat nicht
genau dargelegt, was der Gesetzgeber genau
tun muss, also ob er zum Beispiel
Kriterien aufstellen muss, die weniger
wertend sind und beeinträchtigte Menschen
nicht benachteiligen oder nur
Verfahrensregeln
aufstellen muss, wie zum Beispiel eine
Triage durchgeführt werden muss, also ob
mehrere Leute daran beteiligt sein müssen,
wer daran beteiligt sein muss, wie das
dokumentiert wird oder gesagt, okay,
wir stellen Negativkriterien auf.
Also was darf auf keinen
Fall eine Rolle spielen?
Der Gesetzgeber hat da einen
ziemlich weiten Spielraum.
Aber wir können alle dazu beitragen, dass
eben dieser Spielraum so ausgenutzt wird,
dass Menschen mit Beeinträchtigungen
wirklich wirksam geschützt werden.
Denn das hat das Bundesverfassungsgericht
noch einmal betont, dass es unglaublich
wichtig ist und geboten, laut dem
Grundgesetz und der
UN-Behindertenrechtskonvention, dass
Menschen mit Beeinträchtigungen im Fall
einer Triage wirksam geschützt werden
und genau die gleiche Chance erhalten auf
eine intensivmedizinische Behandlung
wie nichtbehinderte Personen.
Ich habe mich zu diesem Thema mit
Hans-Günther Heiden unterhalten,
der Mitbegründer des
"Netzwerk Artikel 3" ist
und zum Thema Triage
eine Menge gemacht hat.
Was genau, was er vom Urteil des
Bundesverfassungsgerichts hält und vieles
mehr, erfahrt ihr im folgenden Interview.
Also ich freue mich sehr, dass du
bei uns im Podcast zu Gast bist.
Viele Menschen und viele Verbände
kennen dich ja schon sehr lange.
Aber für diejenigen, die dich noch nicht
kennen, würde ich mich sehr freuen, wenn
du mir kurz ein bisschen deinen
Hintergrund erläuterst, zum Beispiel
erklärst, was dich eigentlich motiviert
hat, mit behinderten Menschen so aktiv
und selbstvertretend zusammenzuarbeiten.
Was du schon so gemacht hast und damit die
Leute so einen kleinen Eindruck bekommen.
Ja okay, danke für die Einführung.
Also, ich versuche es kurz zu machen, da
ich seit über 30 Jahren,
seit 1986, aktiv bin.
Und das hat damals angefangen beruflich.
Da war ich in Baden-Württemberg
Chefredakteur der Zeitschrift "Leben
und Weg" vom Bundesverband Selbsthilfe
Körperbehinderter,
war auch da verantwortlich für die
Öffentlichkeitsarbeit.
Und habe dann eine Tagung gemacht, die
eigentlich für die Verfassungsergänzung seinerzeit maßgeblich war
zum Mobilitätsgesetz. Zum
Hintergrund: Das war damals,
die USA haben ein neues Gesetz gemacht, American
With Disabilities Act, und das wollten wir
auch in Deutschland haben.
Und aus dieser Tagung raus
habe ich dann den Initiativkreis
"Gleichstellung Behinderter" mitgegründet
und die haben dann die Vorbereitungen für
ein Gleichstellungsgesetz und für die
Verfassungsergänzung gemacht.
Und diese Verfassungsergänzung durfte ich
auch mit koordinieren, die
schlussendlich erfolgreich war.
Ich war dann als freiberuflicher Publizist
anschließend auch noch natürlich mit dabei
beim Kampf um ein Behinderten-
Gleichstellungsgesetz, das
wollten wir auch noch erreichen.
Und aus diesen Initiativkreis, den ich
mitgegründet hatte, ist dann das
"Netzwerk Artikel 3" geworden.
Wir wollten es auf eine
breitere Basis stellen.
Das hat dann auch geklappt 2002 mit
dem Behinderten-Gleichstellungsgesetz.
Und dann kamen ja auch schon parallel die
Vorarbeiten zur
UN-Behindertenrechtskonvention
in New York.
Da war ich als Assistent mit dabei
und habe dann, als
die Konvention dann wirklich in trockenen
Tüchern war und Deutschland auch
zugestimmt und ratifiziert hatte,
habe ich dann den
Bericht der Zivilgesellschaft, den ersten
Bericht der Zivilgesellschaft,
zur Berichterstattung, zur Konvention
koordiniert und damals die
sogenannte BRK-Allianz gegründet.
Das war dann auch ganz erfolgreich, wir
haben einen schönen Parallel-Bericht
gemacht mit 78 Organisationen.
Ich war dann weiterhin publizistisch aktiv
und das führte mich natürlich dazu, dass
ich auch bei Dingen, die mich dann ärgern und
aufregen und mich bewegen, wie die Triage-
Thematik, Partei ergreife
und Stellung ergreife.
Und das war es vielleicht mal in aller Kürze.
Im März 2020 haben ja
sieben intensivmedizinische
Fachgesellschaften Leitlinien zu diesem
Thema erarbeitet und das "Netzwerk Artikel 3"
war eine der ersten Organisationen, die
diese Leitlinien überhaupt kommentiert
haben und sich zur
Thematik geäußert haben.
Was hat euch damals
an diesen Leitlinien so bewegt,
dass ihr die kommentieren wolltet?
Was habt ihr konkret kritisiert
und was wolltet ihr damit erreichen?
Als wir das im März 2020, da hat ja die
Pandemie angefangen, es gab die
Bilder aus Italien, aus anderen Ländern
von den Intensivstationen und als wir dann
diese Stellungnahme der
Fachgesellschaften, ich nenne es mal die
DIVI-Richtlinien, das ist ein bisschen
verkürzt
und wir haben uns furchtbar geärgert
und haben gedacht, das kann nicht sein.
Diese Richtlinien diskriminieren
Menschen mit Behinderungen.
Und dann hat das "Netzwerk Artikel 3"
zusammen mit der ISL
eine Stellungnahme gemacht.
Wie du sagtest, eben ganz schnell und
wir haben vor allen Dingen kritisiert,
das war die Headline -
"Behinderung darf kein Kriterium sein."
Das war das erste und haben dann aber auch
gesagt, es darf auch keine
mittelbare Diskriminierung sein.
Und die DIVI hat anschließend gesagt, na ja, wir
wollen ja Behinderte gar nicht
benachteiligen, das liegt uns ja so fern.
Pustekuchen. Wenn man sich
genau das Papier mal anschaut,
da werden Kriterien eingeführt, speziell
die sogenannte Gebrechlichkeitsskala,
die mittelbar zu einer Diskriminierung
führt. Wir haben gesagt, das darf nicht sein, dass da
solche Kriterien angewandt werden.
Und unsere Forderung war auch noch,
dass medizinisch-ethische Empfehlungen
menschenrechtsbasiert sein müssen.
Und zum Schluss ganz allgemein,
wenn es um solche Kriterien geht, um
solche Empfehlungen, wollten wir auch gemäß
dem Motto "Nichts über uns ohne uns",
dass Menschen mit Behinderung an diesen
Empfehlungen, die sie ganz stark
betreffen, mitbeteiligt sind.
Du hast ja gesagt, das war halt ein Thema,
eben diese Kommentierung der Leitlinien.
Aber das Thema hat euch ja
danach weiter umgetrieben.
Ich weiß nicht, ob ihr zum Beispiel
Resonanz erhalten habt, weil ihr euch dann
dazu entschieden habt, das Thema auf eine
breitere gesellschaftliche
Diskussionsbasis zu stellen.
Und da habt ihr einen digitalen Runden
Tisch zum Thema Triage initiiert
und ich würde gerne wissen, wie
hat das genau funktioniert,
dieses digitale Format? Und was wolltet
ihr konkret mit diesem Aufruf
zur Diskussion erreichen?
Es war ja so, dass es, Ende März waren,
unsere Stellungnahmen, und jedes Jahr am 5.
Mai sind natürlich die Aktionen
der Behindertenverbände
gegen ihre Diskriminierung.
Und da war unsere Idee vom Netzwerk,
aha, eigentlich könnten wir diesen 5.
Mai auch nutzen, um doch nochmal
verstärkt in das Thema einzusteigen. Und
in dieser Anfangszeit, als die Triage
rauf und runter diskutiert wurde in den
Presseorganen, war es eigentlich so, dass
sich vor allen Dingen
Medizinjuristen oder Medizinethiker
zu Wort gemeldet haben
und Fachleute aus der Intensivmedizin.
Und das war eine ziemlich abgehobene
Diskussion, also das zwar ziemlich
komplex. Ist es ja auch heute noch.
Und dann war die Idee, eigentlich müssten
wir die Diskussion verbreitern, in die
Fläche bringen, dass nicht nur ein paar
Hansels und Gretels, die sich da
spezialisiert haben, zu Wort kommen
können, sondern viel mehr Leute.
So, und dann haben wir dies als
eine Diskussionsplattform aufgesetzt
und haben dann erst mal Mitstreiterinnen
und Mitstreiter gesucht.
Das "Netzwerk Artikel 3" ist dann aktiv
geworden und wir haben dann gefunden auch
die Caritas Psychiatrie Behindertenhilfe,
die halt auch sehr stark in Diskussionen
sich schon engagiert hat,
und das Forum behinderter Juristinnen und
Juristen. Zusammen mit der Liga Selbstvertretung ein Zusammenschluss von 13
Selbstvertretungsorganisationen
in Deutschland.
Und wir haben dann gesagt, wir
wollen drei Ziele verfolgen.
Das erste Ziel: Wir wollen
die Diskussion verbreitern.
Das ist uns ganz wichtig.
Es darf keine reine
Expert*innen-Diskussion sein.
Das zweite Ziel war: Der Bundestag
darf da nicht schweigen.
Es gibt, was weiß ich, zum Thema
Sterbehilfe, zum Thema
Schwangerschaftsabbruch,
und und und und und,
immer große breite Diskussionen,
Sternstunden
des Parlamentarismus wird gesagt.
Und ausgerechnet zu diesem Thema soll der
Bundestag nichts sagen? Das wollten wir
nicht hinnehmen und haben gesagt,
der Bundestag darf nicht schweigen.
Das war unser zweites Ziel.
Und zum Dritten wollten wir auch noch
versuchen, Prinzipien selber zu entwickeln
um da eine inhaltliche Stellungnahme
hinzubekommen, um uns auch mit
unserer Stellungnahme einzumischen und
wollen dann auch quasi den Bundestag bzw.
die Gremien damit beraten
in der Diskussion.
So, das waren unsere Ziele. Und
wir haben dann acht Themen in dieser
Diskussionsplattform aufgesetzt.
Zum Beispiel,
welche menschen- und verfassungsrechtlichen
Grundlagen sind zu beachten bei
Priorisierungsentscheidungen?
Welche wissenschaftlichen
Erkenntnisse gibt es bisher?
Wer trifft die Priorisierungentscheidung
in so einer Notfallsituation?
Was bedeuten zum Beispiel die Begriffe
Dringlichkeitsprinzip oder
klinische Erfolgsaussichten?
Oder gibt es diskriminierungsfreie
Beurteilungsinstrumente?
Das waren jetzt nur sechs von den acht.
Und man merkt schon, das sind fast ein
bisschen, ja, medizinisch
sozialwissenschaftliche ethische
Themen, die unter anderem
auch mit an die Uni gehören.
Parallel haben wir einmal noch so einen kleinen
Bereich gehabt, wo man die Basisdokumente
sich runterladen kann, also
die DIVI-Empfehlungen, die Empfehlung vom
"Netzwerk Artikel 3" und und und.
Und was ich auch ganz wichtig finde, wir
haben dann ab März 2020 begonnen,
jeweils aktuelle Entwicklungen und
weiterführende Links aufzusetzen.
Und bis jetzt, bis zum Dezember 21,
haben wir ungefähr 60 Links
jeweils, die wichtig sind.
Wer hat irgendwann was gesagt?
Wie
sind Stellungnahmen? Welche Ideen kommen
von bestimmten gesellschaftlichen Gruppen?
Das Problem dabei war: Vielleicht haben wir
das ein bisschen zu positiv eingeschätzt.
Es gab relativ wenig inhaltliche Beiträge,
sondern es hat sich eher so zu
einem Leseforum entwickelt.
Ich habe dann mal auf die Zugriffe geguckt,
also das sind dann je nach Themen
zwischen 3000 und 5000 Lesezugriffe.
Das find ich schon interessant.
Und die meisten Lesezugriffe waren zum
Thema "Wer trifft die Entscheidungen
und Priorisierungen eigentlich so?"
Und das ist glaube ich schon der Punkt,
der die Leute ganz doll umtreibt. So
weniger die wissenschaftliche Diskussion,
sondern, was ist in der
realen Situation eigentlich?
Was passiert da?
Und wer diskutiert?
Wer bestimmt über mein Leben?
Gab es für euch trotzdem noch mal so
irgendwie Erkenntnisse? Also du hast ja
zum Beispiel die Themen,
das Dringlichkeitsprinzip. Wer
entscheide? Was gibt es noch für andere
Kriterien? Zum Beispiel,
wer zuerst kommt, der bekommt zuerst eine
Behandlung und andere. Gab es da
irgendwelche Erkenntnisse für euch, die
euch noch weiter beflügelt
haben, das weiter zu machen?
Es gab jetzt keinen direkten Erkenntnisse,
dass wir gesagt haben, oh, jetzt haben wir die
Lösung; sondern es war eher die
Erkenntnis, hm, es ist schwierig,
es ist ein verdammt schwieriges Thema.
Es ist ein ethisches Dilemma und
die Leute haben teilweise vielleicht auch
Angst, sich zu äußern, weil sie denken,
sie sagen das Falsche und treffen
damit eine falsche Entscheidung.
Und deswegen war eher die Erkenntnis,
wir müssen das Ganze nochmal
ein bisschen runterbrechen.
Und deswegen war es mir wichtig, auch
fürs "Netzwerk Artikel 3",
da eine Broschüre in einer
verständlichen Sprache zu schreiben.
Was heißt das eigentlich?
Was sind denn Beurteilungsinstrumente?
Was sind Scores?
Was bedeutet ein SOFA-Score?
Was bedeutet eine Gebrechlichkeitsskala?
Was bedeutet Mehr-Augen-Prinzip?
Was bedeutet die Stellungnahme der
Bundesärztekammer, des Ethikrates, die sich
alle zu Wort gemeldet haben.
Um das mal zusammenzustellen und zu
bündeln und das für alle
verständlich zu machen.
Und das, denke ich, war ein wesentlicher
Schritt, der auch, glaube ich, in der Diskussion
etwas weiter geführt hat.
Du hast es grad schon angeschnitten.
Du hast ja selber dann diese Broschüre
entwickelt, die überhaupt diese ganzen
Skalen und überhaupt das Thema der Triage
auf sehr verständliche
Weise veranschaulichen
und auch bebildert haben.
Kannst du ein bisschen erklären, was da
so z.B. für Bilder drin sind und wie die
Broschüre aufgebaut ist und
wo man die finden kann?
Die ist ja auch digital verfügbar.
Ja, die ist nur digital verfügbar.
Also wir haben das quasi mit ganz schmalen
finanziellen Bordmitteln gemacht und das
ist eine 24-seitige Broschüre mit großer
Schrift, die ist in zwei Teilen aufgeteilt.
Der erste Teil
ist so, dass wir erst mal erklären. Was
heißt überhaupt das Wort Triage?
Wo kommt es her? Was bedeutet es?
Und wir erklären die Fachbegriffe.
Also zum Beispiel: Wie kann
man Erfolgsaussichten messen?
Das ist im ersten Teil drin. Und im zweiten
Teil geht es um die Reaktion und auch
um die Verfassungsbeschwerde,
die neun Menschen mit
Behinderungen eingebracht haben.
Und zum Schluss auch:
Wo können Sie sich einmischen?
Wie sind die Positionen, und dann
Links zu den weiteren Materialien.
Und um das verständlich zu machen,
haben wir Marleen Sutandi, eine Kollegin
die schöne Grafiken macht,
gebeten, das zu bebildern.
Und vorne drauf auf der
Broschüre ist eine junge Person -
wir haben die absichtlich ein bisschen
androgyn gehalten, also nicht
dem Geschlecht zugeordnet -
und die hält so ein großes Buch vor sich,
da steht "Medizin und Recht" drauf
und die hat eine Lupe in der Hand.
Das heißt also, es soll symbolisieren, aha,
ich mische mich jetzt ein, ich mache
mich schlau, ich mache mich kundig.
Oder bei der Gebrechlichkeitsskala, wie
kann man Erfolgsaussichten messen?
Da ist so eine etwas vorsintflutliche
Apparatur zu sehen,
da steht drauf "CRS-Scanner". Links kommt
jede Menge Papier raus,
rechts kommen Drähte raus.
Also so eine Apparatur, mit denen
gearbeitet werden können.
Oder Thema "Behinderte Menschen
legen Verfassungsbeschwerde ein.".
Da ist dann Artikel 3 des Grundgesetzes,
"Niemand darf wegen seiner Behinderung
benachteiligt werden." in so einem
großen Felsstein eingemeißelt.
Das heißt also, das ist das geltende
Recht, was nicht angetastet werden darf.
Und damit ist es noch ein bisschen
leichter geworden, den ganzen doch
schweren Fachkomplex
Triage verstehen zu können.
Sehr schön.
Vielleicht kannst du nochmal kurz sagen,
wie die Broschüre genau heißt, damit die
Leute die auf der Seite des "Netzwerk
Artikel 3" auch gut finden können.
Wir verlinken ja auch
in unseren Shownotes.
Also das heißt "Was Sie über
die Triage wissen müssen.
Ein schwieriges Thema, verständlich
erklärt.". Und es ist dann natürlich auf
der Seite vom "Netzwerk Artikel 3" drauf.
Und wenn ihr das in den Shownotes verlinkt,
ist es auch wunderbar, weil ich denke, es
muss noch weiter diskutiert werden.
Und meine Erfahrung ist auch, das Wort
Triage und es löst auch Schrecken
aus, dann bekommt man Bilder im Kopf.
Und ich denke, man muss es schon
gezielt, nüchtern und sachlich angehen,
um auch selbst zu einer
guten Position zu kommen.
Hast du Resonanz bekommen auf die
Broschüre oder haben sich dadurch auch
irgendwie auch noch andere Möglichkeiten
aufgetan, stärker mitzumischen?
Also ich kann da keine
Zugriffszahlen nennen von der Broschüre
auf der Seite, sondern nur von einzelnen
Personen, die dann rückgemeldet haben,
oh ja, das war mal
wichtig und das ist gut
und jetzt habe ich es verstanden und es
nimmt mir ein bisschen Angst auch davor.
Sehr gut. So ein bisschen
niedrigschwelligeren Zugang zu haben
und ich kann jetzt doch besser mitreden,
wenn es um diese Thematik geht und bin nicht
sofort von irgendwelchen
Medizinrechtlern an die Wand gedrückt.
Dann kommen wir jetzt zur
Verfassungsbeschwerde von neun
Menschen mit Beeinträchtigung.
Das Bundesverfassungsgericht hat ja jetzt
einen Beschluss gefasst,
in dem es wirklich darlegt, dass der
Gesetzgeber die Verpflichtung hat,
Menschen mit Behinderung
wirksam vor Diskriminierung in Triage-
Situationen zu schützen, also dass sie
laut Grundgesetz
Artikel 3, Absatz 2 geschützt werden
müssen, weil niemand wegen seiner
Behinderung benachteiligt werden darf.
Du hast es ja schon angesprochen.
Da hat der Gesetzgeber ja einen relativ
weiten Spielraum, was er machen kann, ob
er selbst Kriterien aufstellt, die
natürlich mit dem Grundgesetz vereinbar
sind oder schaut, wie kann man das
verfahrenstechnisch regeln oder wie
kann ein Mehr-Augen-
Prinzip vernünftig geregelt werden?
Aber was hältst du erst mal
persönlich, da du dich sehr intensiv damit
befasst hast, von diesem Urteil? Und was
wünschst du dir,
was der Gesetzgeber tun sollte, um diesem
Thema wirklich wirksam zu begegnen und
Menschen mit Behinderung wirklich
vor Diskriminierung zu schützen?
Ich muss sagen, ich war sehr nervös
erst mal, als ich erfuhr, kurz vor
Weihnachten, dass das
Verfassungsgericht am 28.
Dezember seine Entscheidung
verkünden wollte.
Und ich dachte umgehend,
hoffentlich geht es gut.
Und ich war dann total erleichtert, als
gegen 19 Uhr durchsickerte, ja,
die Verfassungsbeschwerde ist
positiv entschieden worden.
Und das war ja ein bisschen tricky, denke
ich, weil die Argumentation war ja
gesetzgeberisches Unterlassen.
Es ging ja nicht irgendwie, dass schon
eine Entscheidung gefallen war, sondern
dass eben keine Entscheidung gefallen war.
Und dass unser zweites Ziel, der
Bundestag darf nicht länger schweigen,
das wurde ganz eindeutig bestätigt und der
Bundestag muss sogar unverzüglich handeln.
Er darf nicht
ein bisschen länger sich Zeit nehmen,
sondern unverzüglich muss er aktiv werden.
Und das war doch eine große Genugtuung.
Und ja, es hat uns sehr gefreut,
dass dieses gesetzgeberische Unterlassen
sanktioniert wurde vom Verfassungsgericht.
Das war schon mal sehr schön.
Außerdem hat es uns auch sehr gefreut,
dass das Verfassungsgericht deutlich die
versteckten Diskriminierungen oder vom
Fachbegriff so hinten bei, so die versteckten
Vorurteile von
den Leuten, die im medizinischen Bereich
beschäftigt sind und die auch durchaus
Vorteile haben können,
dass die auch angesprochen worden sind, und
das auch eine breite Sensibilisierung der
im Gesundheitswesen
Tätigen erfolgen müsse.
Von daher ist es wichtig, dass sich jetzt
Menschen mit Beeinträchtigungen
aktiv einmischen.
Und ich denke, es gibt bereits unabhängig
von der Diskussion, nein,
unabhängig kann ich nicht sagen.
Es gibt Möglichkeiten,
schon Sofortmaßnahmen
einzuleiten, die noch gar nicht in
ein ethisches Dilemma reinführen.
In der Broschüre ist auch ganz eindeutig
unterschieden zwischen der sogenannten
ex ante Triage und der ex post Triage.
Wir haben es dann so erklärt: ex ante,
das ist quasi im Vorhinein.
Der klassische Fall:
Es gibt nur ein intensiv Bett und vier
Leute müssten eigentlich
da hingelegt werden.
Wie entscheidet man dann?
Das ist ex ante, aus dem Lateinischen,
im Vorhinein. Das zweite,
was auch in Bergamo ziemlich schockiert
hat und manchmal verwechselt wird,
das ist die sogenannte ex post Triage.
Das hat im Nachhinein
bedeutet, wenn jetzt eine Person auf der
Intensivstation liegt und mit dem Gerät
schon beatmet wird und es käme eine
eventuell schwerer betroffene Person,
dann wird der Person, die das Gerät schon
hat, das Gerät weggenommen, weil die
andere angeblich eine bessere
Erfolgsaussicht hat. Und das,
diesen Punkt der ex post Triage,
denken wir, den könnte der
Gesetzgeber sofort verbieten, weil das
eine aktive Tötungshandlung ist und das
muss eigentlich jeder,
der im medizinischen Bereich
tätig ist, sofort erkennen.
Das geht überhaupt nicht.
Dann wäre es zum Beispiel auch denkbar,
dass die Gebrechlichkeitsskala
nicht angewendet wird.
Darüber gibt es in anderen
Ländern schon Beispiele.
Also das wäre auch eine Möglichkeit,
dass diese Skala nicht Anwendung findet.
Die zweite Skala, der
sogenannte SOFA-Score,
das ist eine Skala, wo bestimmte
Grundeigenschaften von
der jeweiligen Person gemessen werden.
Und die kann bei Menschen mit
Beeinträchtigungen standardmäßig schon
anders sein, sodass die normale
Score-Anwendung gar nicht mehr
auf beiden organen Systemen
im Durchschnitt Berücksichtigung findet,
sondern dass man weiß, aha, ich muss auf
jeden Fall immer beim Individuum genau
hin gucken und mich bei der Person vorher
schon informieren, kann ich die
überhaupt mit diesem Score messen,
oder muss ich da ganz
andere Maßnahmen anwenden?
Und was man auch sofort machen könnte:
Es wurde schon vom Mehr-
Augen-Prinzip gesprochen.
Das ist, bei den Empfehlungen der
Fachgesellschaften betrifft das
lediglich die Professionellen.
Die Angehörigen sollen nur, ich zitiere,
"transparent informiert werden".
Das kann ja nicht der Weisheit
letzter Schluss sein.
Die müssen natürlich auch
ein Mitspracherecht oder
zumindest ein Viel-Augen-Prinzip und
Viel-Münder-Prinzip mit umformulieren.
Und natürlich halt die Partizipation der
Betroffenen bei der Weiterentwicklung.
Und dann können wir in
die Diskussion eintreten.
Was ist eigentlich in dieser
ex ante-Situation der Fall?
Welche Kriterien gibt es da?
Ist es da diese klinische Erfolgsaussicht,
Überlebenswahrscheinlichkeit?
Und da hat auch das "Netzwerk Artikel 3"
eine Stellungnahme sachkundiger
Dritter vor dem
Verfassungsgericht gemacht.
Da haben wir auch ausgeführt,
es kommt gerade im Bereich von Menschen
mit Behinderungen zu so vielen
Fehleinschätzungen
über die Wahrscheinlichkeit von
Operationenserfolgen, von
Überleben, von Krankheitsverläufen.
Es ist, man kann sagen,
wie der Wetterbericht.
Es kann sein, es kann auch nicht sein.
Und daraus dann eine Entscheidung zu
treffen, das ist sehr schwierig.
Und man muss dann durchaus diskutieren.
Soll es ein Zufallsprinzip sein?
Soll es ein first-come-
first-serve-Prinzip sein?
Können es andere Prinzipien sein?
Das hat das Verfassungsgericht
auch noch nicht entschieden.
Und diese Diskussion um diesen
Fall muss entschieden werden.
Und dann gibt es noch den Bereich, den hat
auch unser Runder Tisch-Partner, die
Caritas Psychiatrie Behindertenhilfe
angesprochen, die sogenannte
Triage vor der Triage.
Das bedeutet, dass Menschen
mit schweren Beeinträchtigungen, die in den
Einrichtungen untergebracht sind,
erst gar nicht mehr quasi in die Situation
kommen, dass über sie mit entschieden
wird, sondern dass von vornherein gesagt
wird, bei denen lohnt
es sich sowieso nicht mehr.
Ich übertreibe jetzt ein bisschen.
Das war zum Beispiel in Tuttlingen der
Fall jetzt, in Süddeutschland, als das Landratsamt die
Einrichtung aufgefordert hat, in diesem
Sinne so ein bisschen zu verfahren, um halt angeblich
so die medizinische Gesundheitsversorgung
nicht überzustrapazieren.
Und das geht ja auf keinen Fall.
Und hier muss auch ein Riegel
vorgeschoben werden.
Und in diesem Sinne bin ich sehr gespannt,
wie sich jetzt die
Diskussion entwickeln wird.
Vom Runden Tisch haben wir gesagt, wir
haben geschrieben an die
behinderten und gesundheitspolitischen
Sprecherinnen und Sprecher der Fraktionen
an den Justizminister, an den
Gesundheitsminister
und sagt hier, wir wollen als Runder Tisch
mit einbezogen werden in die Diskussion.
Und mal sehen, wie es weitergeht.
Ja, wir dürfen gespannt sein.
Ich kann nur empfehlen, auch wenn es
erst mal ein bisschen trocken klingt,
den Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts zu lesen, weil
da wirklich viel
Gutes und Interessantes drin steht, auch
noch mal Zusammenfassungen der
unterschiedlichen Stellungnahmen, sie haben ja
einige sachkundige dritte Stellungnahmen
eingereicht. Und auch, man kann mal sehen,
wie wichtig es ist, so was auch zu machen.
Aber was eben auch dazu gehört, welche
Kriterien so eine Verfassungsbeschwerde
erfüllen muss.
Und auch ein bisschen
erschreckend zu sehen
für mich war so die Einschätzung
der damaligen Bundesregierung, ob ein
Gesetz denn Not täte oder nicht und die
sich ganz klar dagegen
ausgesprochen haben.
Und die Argumente haben mich ein wenig
erschreckt. Das andere ist vielleicht,
wenn ich dazu noch ergänzen darf,
ich habe auch in der Broschüre den
damaligen Bundestagsabgeordneten
Lauterbach zitiert, der meinte, nein,
der Gesetzgeber muss das nicht machen, das
seien medizinische Entscheidungen.
Nach der Entscheidung des
Verfassungsgerichts hat er
seine Meinung geändert und ist jetzt auch
dafür, dass man das
halt gesetzlich regelt.
Und was mich besonders gefreut hat auch,
ich habe ja zu Anfang gesagt, dass ich mit
in der Ergänzung um die Verfassungsdiskussion
Anfang der 90er Jahre beteiligt war,
und das Gericht hat an ganz ganz vielen
Stellen sich immer auf diesen neuen Satz 2
im Artikel 3, Absatz 3 bezogen.
Und ich dachte dann, wow,
wenn wir das damals nicht geschafft
hätten, wenn die Verfassung
nicht ergänzt worden wäre,
das Urteil, die Entscheidung, wäre
vielleicht ganz ganz anders ausgefallen.
Da hast du Recht. Und das Gericht sich auch auf die
UN-Behindertenrechtskonvention bezogen
hat auf diverse Artikel
und ich denke, von daher wird diese
Entscheidung auch in ganz anderen Fällen
noch eine wesentliche Grundlage sein, wo
es vielleicht anders gelagerte
Probleme gibt,
aber da ist der Bezug wirklich zum
Grundgesetz und zur UN-BRK sehr
sehr deutlich ausformuliert.
Und das ist auch ein wunderbarer
zusätzlicher Effekt.
Eine letzte Frage und das
ist natürlich immer schwierig
einzuschätzen und zu evaluieren. Du hast
ja selber auch schon gesagt, es muss
einfach eine breite Debatte geben unter
Beteiligung von Menschen mit Behinderung
und Selbstvertretungsorganisationen.
Aber wenn du auf die internationale Ebene
in andere Länder schaust, gibt es da für
dich schon Beispiele, wo man sagen kann,
das ist vielleicht ein bisschen besser
gelöst oder wenigstens ein guter Ansatz,
wie man so eine Triage-Situation, die
ohnehin schon
wahnsinnig schwierig und belastend und für
einen Menschen immer diskriminierend
ausgehen wird, wie man das
besser gestalten kann?
Es gab mal auch Ansätze von der
Konrad-Adenauer-Stiftung, die es versucht
hat, aus anderen Ländern zusammenzuführen.
Auch in Diskussionen war ich mit dabei.
Und dort wurde zunächst mal festgestellt,
dass es eigentlich überall, auch auf der
Welt, so eher so eine gesetzgeberische
Zurückhaltung da ist. So alles,
man weiß nicht genau, wie man es macht.
Das ist sehr unterschiedlich.
Manche Länder, auch in der Schweiz, haben
jetzt auch mit das Kriterium
Alter verstärkt eingeführt.
Ich habe eigentlich drei Bereiche aus
unterschiedlichen Perspektiven,
die ich vielleicht nennen könnte.
Das eine kommt aus Großbritannien.
Dort hat ein National Health Institute
schon im März 20 festgestellt,
dass die CFS-Skala, die Gebrechlichkeitsskala,
nur eingeschränkt zu verwenden sei
und nicht, ich zitiere, bei
Stable Long Term Disabilities, also
bei stabilen, langandauernden, lang
bestehenden Beeinträchtigungen,
dann ist sie ausgeschlossen.
Und das, denke ich, ist schon
ein wesentlicher Faktor.
Das muss ausgeschlossen sein.
Zumal diese CFS,
da gibt es Plakate dazu,
wo bei Stufe 7 und 8, es geht von
1 bis 8, schon kleine Piktogramme
sind, wo Leute geschoben werden
mit Rollator oder Rollstuhl.
Und diese unterschwellige Symbolik geht
dann auch dahin, dass man vielleicht zu
schnell seinen Vorurteilen in
der Beurteilung unterliegt.
Also da ist schon ein Beispiel, dass diese
CFS nicht angewandt werden
soll in bestimmtem Bereichen.
Dann gibt es aus Schweden auch Vorgaben,
dass die Angehörigen mit einbezogen werden
sollen, das ist das, was ich eben auch
sagte, dass die nicht nur informiert
werden, sondern mit
einbezogen werden, aktiv.
Und was ich auch spannend finde
zum Bereich Partizipation.
Es gibt zum Beispiel aus Kanada,
da gibt es einen Expert*innen-Beirat
zum Thema Covid und Behinderung.
Und da sind zum Beispiel elf Expertinnen
und Experten aus der Disability Community
ausgewählt worden, die die
kanadische Regierung beraten.
Und diese drei Sachen, finde ich, stehen schon
ganz gut stellvertretend für eine
Entwicklung, die wir hier in Deutschland
noch nicht haben und zu der
wir aber hinkommen müssen,
so denke ich. Dann bin ich sehr gespannt,
was der Gesetzgeber jetzt unternehmen wird
und wie gut die Zivilgesellschaft in
diesem Prozess der Gesetzgebung mit
eingebunden werden wird und
wie zeitnah das auch passiert.
Und ich bin mir sicher, NW3, der
Runde Tisch und alle anderen Akteur*innen
werden weiterhin tatkräftig mitmischen.
Dann ganz herzlichen Dank für das schöne
Interview und ich wünsche euch ganz viel
Erfolg für eure weitere
Arbeit und alles Gute.
Danke und viel Erfolg beim Podcast
und bei den weiteren Folgen.
Das wars auch wieder mit unserem Podcast
"Das lasse ich mir nicht bieten -
Wege durch den Rechte-Dschungel.
Ganz vielen Dank euch fürs Zuhören.
Ich wünsche euch eine wunderbare Zeit und
freue mich, euch in der nächsten
Folge wieder begrüßen zu dürfen.
Alles Gute für euch!
Bleibt optimistisch,
zuversichtlich und habt euch lieb.
Egal auf welchem Weg. Bis dann.
Das war für euch heute am Mikrofon
Jessica Schröder.
Dieser Podcast wird ermöglicht durch die
Förderung vom Bundesministerium
für Arbeit und Soziales.
Das lasse ich mir nicht bieten.
Der Podcast über Wege durch den Rechte-Dschungel.
Eine Produktion von ISL
Interessenvertretung
Selbstbestimmt Leben e.V..
Mehr Informationen und Kontaktaufnahme
über die Webseite www.isl-ev.de.